STERN: Prof. Trefzer über Gesundheits-Mythen (08/2014)

Frauen frieren schneller als Männer

Ganz der Gentleman, hängt der Herr der schlotternden Dame seine Jacke über. So will es die alte Schule seit jeher – und so wollen wir Frauen es auch weiterhin. Weil wir es charmant finden einerseits, vor allem aber weil die meisten Frauen tatsächlich schneller frieren als Männer.
Um uns warm zu halten, ist die körpereigene Wärmeregulation im Dauerbetrieb. Egal wie heiß oder kalt es ist, die Organe und das Gehirn brauchen eine konstante Temperatur von etwa 37 Grad. Bei einer Differenz zwischen Außen- und Körpertemperatur muss der Körper entsprechend Wärme speichern oder abgeben. Mann und Frau gelingt das ungleich gut. Zurückzuführen ist das auf drei wesentliche Unterschieden zwischen den Geschlechtern.

Unterschied 1: Der Körperbau

Wie viel Wärme über die Haut verloren geht, hängt unter anderem von der Körpergröße ab. Frauen sind im Durchschnitt kleiner als Männer. Frauen haben damit im Verhältnis zu ihrem Volumen eine größere Oberfläche, über die sie Wärme abgeben. Je kleiner ein Mensch ist, desto eher läuft er Gefahr zu frieren. Im Tierreich lässt sich das besonders eindrücklich beobachten: Laut der Bergmannschen Regel werden Tiere derselben Gattung umso größer, je kälter die Region ist. Der Königspinguin am Südpol beispielsweise ist sehr viel größer als sein Artverwandter, der Humboldt-Pinguin, auf den Galapagos-Inseln.  Neben der Körperlänge spielt auch der Körperbau eine entscheidende Rolle. So sind zum Beispiel die Bewohner des nördlichen Polarkreises, die Inuit, im Schnitt zwar kleiner als wir Europäer, doch ihr Körperbau ist gedrungener und ihre Extremitäten sind deutlich kürzer, sodass ihr Körpervolumen im Verhältnis zur Körperoberfläche sehr groß ist.

Unterschied 2: Die Muskelmasse

Ein weiterer entscheidender Unterschied zwischen Mann und Frau ist der Anteil an Muskelmasse. Beim Mann beträgt er rund 40 Prozent, der Fettanteil circa 15 Prozent. Bei Frauen halten sich Muskeln und Fett in etwa bei 25 Prozent die Waage. Diese etwas dickere Unterhautfettgewebe verhindere die Wärmeabgabe aus den inneren Organen zwar etwas besser als bei Männern, sagt Uwe Trefzer, Arzt am DERMATOLOGIKUM BERLIN. Doch  Muskelmasse erzeugt mehr Wärme: Nur ein Drittel der freiwerdenden Energie fließt in die tatsächliche Arbeit – etwa Laufen –  zwei Dritteln dagegen werden als pure Wärme frei. “Männern steht somit ein viel größerer Wärmespender zur Verfügung.”

Unterschied 3: Die Haut

Schließlich spielt auch noch die Haut eine wesentliche Rolle im Kampf gegen die Kälte. Zunächst einmal ist Frauenhaut rund 15 Prozent dünner. Die über 300.000 Kälterezeptoren, die der Mensch in der Haut trägt, reagieren bei Frauen dadurch früher auf Kälte, erklärt Trefzer. Mit dem Alter nehme zudem der Östrogengehalt im weiblichen Blut ab. “Östrogenreduktion oder -mangel führt zu einer Verdünnung der Haut.”
Bei sinkenden Temperaturen verengen sich außerdem die Blutgefäße, damit das Blut nicht in die Haut und die Extremitäten, sondern in die Körpermitte, zu den überlebenswichtigen Organen fließt. Aus diesem Grund haben viele Frauen auch kalte Füße. Bei Frauen geschieht die Verengung bereits bei zehn bis 15 Grad Celsius, bei Männern erst ab fünf bis zehn Grad, sagt Trefzer. Die Erklärung sei, dass Frauen in der Schwangerschaft noch zusätzlich für ein ungeborenes und temperaturempfindliches Leben in ihrem Bauch sorgen müssten. Die Natur priorisiere den Schutz des Ungeborenen, so der Dermatologe.

Fazit:

Frauen frieren schneller als Männer, weil sie meistens kleiner sind, weniger Muskelmasse besitzen und eine dünnere, kälteempfindlichere Haut haben. Der Dame die Jacke anzubieten ist also alles andere als ein reaktionärer Akt. Es sei denn die Frau ist größer und muskulöser als der Mann. Dann könnte man durchaus mal darüber nachdenken, die alte Schule zu reformieren.